Veranstaltung: | BAG -Sitzung Berlin 22. und 23. Januar 2019 |
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Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 14.02.2019, 09:29 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1NEU: Beitrag der BAG PBW zum GSP-Prozess von B90/Grüne
Antragstext
Das Bauwesen gerecht und ökologisch gestalten
Mit der Kommerzialisierung des unvermehrbaren Produktionsmittels Boden und der
von Digitalisierung getriebenen Globalisierung wurde Grund und Boden zum
handelbaren Gut. Wir halten Grund und Boden, wie Luft und Wasser für ein
Gemeingut, das allen in angemessener Art und Weise zur Verfügung stehen muss.
Die Folge des herrschenden, sehr erfolgreichen neoliberalen
Wirtschaftsverständnisses sind soziale Verwerfungen durch Spekulation getriebene
Wohnkosten, Wohnungsmangel bei gleichzeitig steigender Wohnfläche pro
Einwohner*in, Verlust von Lebensqualität in Schlafstädten und ausufernde
Pendlerverkehre in den Metropolen und vieles andere mehr. Profitierende dieser
Entwicklung sind die Großen des Bauwesens, die Bau- und Baustoffindustrie,
Bauträger und die Immobilienwirtschaft. Mit Kostenargumenten, die keiner
Lebenszyklusanalyse standhalten, werden uns giftige und ungesunde Baustoffe
verkauft und Einweg-Wohnungen vermietet. Qualität, Nachhaltigkeit und
Klimaschutz beim Planen Bauen Wohnen müssen bei diesem Geschäftsmodell auf der
Strecke bleiben. Dagegen müssen wir uns auf EU- und Bundesebene stemmen. Aber
schon mit den uns heute zur Verfügung stehenden Instrumenten der Stadt- und
Raumplanung, der Gebäude-, Infrastruktur- und Landschaftsplanung sowie mit
echter Partizipation vor Ort ist es möglich eine ökologisch verträgliche
Siedlungsentwicklung, die sich am Gemeinwohl orientiert in unseren Städten und
Dörfern umzusetzen. Dies ist in erster Linien eine Aufgabe der Kommunal- und
Länderverwaltungen im Rahmen des kommunalen Planungsrechts. (Art. 28 GG, BauGB,
BauNVO)
Global denken, lokal handeln
Die räumliche Verortung von Ökonomie und Kultur, Ökologie und sozialem
Zusammenleben findet in unseren Städten, Dörfern und Kulturlandschaften statt.
Wir leben in Zeiten des Zuzugs in die wirtschaftsstarken Stadt- und
Metropolregionen bei vielfach schrumpfenden Dörfern, Klein- und Mittelstädten in
den ländlichen Räumen. Alle wirksamen Politikfelder greifen in ihren
ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Dimensionen sowie in die
Zuständigkeiten des Bundes, der Länder und der Kommunen hier sehr kleinteilig
ineinander. Ihre Komplexität kann in Resortzuständigkeiten nicht abgebildet
werden.
Mit Nachhaltigkeit im Bauwesen das Klima schützen
Die wichtigsten ökologischen Anforderungen an Städte- und Siedlungsbau sind die
Senkung des Siedlungsflächenverbrauchs und der globalen
Ressourceninanspruchnahme bei Bestand und Neubau sowie der Einsatz von gesunden,
umwelt- und klimaschützenden Baustoffen, Bautechniken und regenerativen
Energien. Hier steht unsere ganze Gesellschaft als privater wie öffentlicher
Bauherrn, aber auch der Gesetzgeber, die Verwaltungen und Gerichte in der
Pflicht.
Art.14 (2) GG umsetzen
Die Vermögensumverteilung von unten nach oben ist endlich zu beenden. Der
Immobilienmarkt muss anonymen Investoren entzogen und Vermögen breiter gestreut
werden. Gemeinnützige Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften in
öffentlicher wie privater Hand wollen wir unterstützen. Veräußerungsgewinne,
Erbschaften und Schenkungen aus Immobilienvermögen, die über das selbstgenutzte
Wohneigentum hinausgehen, sind aus Gründen der Generationen-Chancengleichheit
angemessen global zu besteuern. Deutschland und die EU können hier Vorreiter
sein. In ländlichen Regionen wird im großem Umfang mit Landwirtschaftsflächen
spekuliert. Die Zahl der inhabergeführten Agrarbetriebe sinkt. Die Zahl der
Großbetriebe mit Monokulturen und Massentierhaltung steigt. Dem wollen wir auf
Länderebene begegnen.
Bezahlbares Wohnen ermöglichen
Die Gewinnorientierung der Immobilie seit Wegfall der Wohngemeinnützigkeit und
in Zeiten niedriger Zinsen verstärkte die Ungleichheit in der Bevölkerung. Zur
Sicherung des sozialen Friedens und zum Erhalt unseres Wohlstandes werden wir
öffentliche Abgaben für lebenswerte Städte, Dörfer und Kulturlandschaften
einsetzen müssen. Wohnen ist ein Grundrecht. Ein großer Teil der Bevölkerung ist
mit den Wohnkosten überfordert. Daher bedarf es eines starken und
flächendeckenden gemeinnützigen Wohnungswesens in privater wie öffentlicher
Hand. Hierfür sind umfassende Förderprogramme der Subjekt- und Objektförderung
für lebendige Städte, Dörfer und Kulturlandschaften aufzulegen.
Eine bessere Planungs-, Bau- und Wohnungspolitik einleiten
Es ist klar, dass die anstehenden Aufgaben nicht allein ordnungspolitisch oder
mit einer kompletten Förderung bewältigt werden können. Die Themen können nur in
einem kulturellen Entwicklungsprozess behandelt werden. Diese
gesamtgesellschaftliche Entwicklung schließt eine wehrhafte Demokratie, hohe
Lebensqualität, einen sorgsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur, echte
Partizipation und eine gute Kultur des Planen, Bauens und Wohnens ein. Für die
Umsetzung dieser sehr weitreichenden Aufgaben brauchen wir neue Instrumente, die
die Menschen vor Ort anspricht, abholt und ihre Bedürfnisse und Vorbehalte ernst
nimmt. Mit einer solchen partizipativen Aktivierung des kreativen Potenzials
aller Menschen kann es gelingen, notwendige Verhaltensänderungen zu initiieren.
Begründung
ERLÄUTERUNG/HERLEITUNG
Der Mensch und seine Behausung
Feuer, Ackerbau und Viehzucht sowie der Hausbau ermöglichten dem Homo sapiens vor 30-50.000 Jahren die Auswanderung aus Afrika. Die Entwicklung der Städte, Dörfer und Kulturlandschaften ist eng mit der menschlichen Gesellschaft verbunden, dort entwickeln sich Politik, Wissenschaft und Kunst. Daher haben wir ein sehr enges, meist unbewusstes Verhältnis zu unseren Städten, Dörfern und Bauwerken, den vermutlich dauerhaftesten Spuren unserer Existenz auf der Erde. Mit Beginn des Anthropozäns stellen wir fest, dass wir nicht nur grosse Möglichkeiten und Erkenntnisse von unserem Planeten geschenkt bekommen, sondern dafür auch Verantwortung tragen. Es ist klar, dass ein positiver Beitrag des Menschen zur Entwicklung der Erde nur in Übernahme dieser Verantwortung erfolgen kann. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Entwicklung ist unser Siedlungswesen. Das Bauwesen ist immerhin für rund die Hälfte der gesamten Ressourceninanspruchnahme sowie der Müllproduktion verantwortlich. Unsere Siedlungen und Infrastrukturen sowie der Rohstoffabbau lassen immer weniger Raum für nichtmenschliche Natur. Mit dem Klimawandel greifen wir global in die Natur ein. Neben Industrie, Landwirtschaft und Verkehr ist das Bauwesen Hauptverursacher des Klimawandels. Daher wollen wir, Bündnis 90/Die Grünen, dass wir Menschen dauerhaft auf der Erde heimisch werden und die Rahmenbedingungen der Natur als Ansporn für eine erstrebenswerte, selbstbestimmte Zukunft erkennen und alle darin Freude und Lebensqualität finden.
Die großen Herausforderungen der kommenden Jahre
Die Begrenzung der Klimaveränderungen, die Schaffung guten Wohn- und Arbeitsraumes, die Bewältigung des Verkehrskollaps und der vielfältigen sozialen Verwerfungen sowie der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Big Data und Digitalisierung können hierfür hilfreich sein, wenn wir es schaffen diese Instrumente zum Nutzen aller Menschen und seiner Mitwelt zu gestalten. Wir werden den notwendigen Wandel beherzt und zügig angehen müssen, um unser „Zuhause“ für eine lebenswerte Zukunft fit zu machen. In jeder Veränderung liegt die Chance, die anstehenden Aufgaben gut zu bewältigen. Hierfür bedarf es einer klaren, wissensbasierten Vision zur Zukunft unserer Städte, Dörfer und Kulturlandschaften: Sie sind der Ort, an dem wir miteinander umgehen, kommunizieren, lachen, lieben, streiten, beraten, weinen, gebären, aufwachsen und sterben. Dort sind wir Single, Familie, Paar, Gruppe, Verein, Partei, Bürgerinitiative, Band, Gang, Aktionsgruppe. Dort kaufen wir ein, dort lernen und arbeiten wir, ernähren wir uns, feiern, schlafen und erholen uns. Dort sind wir Individuum in der Gesellschaft. Dort lernen wir, miteinander umzugehen, lernen wir zu leben in unserer Demokratie, dort wächst der soziale Zusammenhalt. Kurz: Städte, Dörfer sind die wahren “social Media”. Dazu wollen wir den Gestaltungsspielraum, den Veränderungen mit sich bringen und die bei vielen Zukunftsängste auslösen, als Chance nutzen für eine sozial integrative, ökonomisch funktionierende und ökologisch gestaltete Lebenswelt.
International vereinbarter Zielkanon
Mit der Agenda 2030 wurden im Jahr 2015 von der internationalen Staatengemeinschaft 17 Nachhaltigkeitsziele vereinbart. Das Nachhaltigkeitsziel 11 (Sustainable Development Goal, SDG 11) zielt darauf ab, Städte und menschliche Siedlungen bis 2030 inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu gestalten. Dazu gehört u.a. den Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum für alle sicherzustellen, den Flächenverbrauch zu beschränken (in Deutschland auf unter 30 ha pro Tag bis 2030) und den Ressourcenverbrauch sowie Treibhausgas- Emittenten auf lokaler Ebene zu senken. Im Grundsatzprogramm sollten die unten aufgeführten Grundsätze zur Boden- und Wohnungspolitik verankert werden, um aktuellen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.
Probleme und Fehlentwicklungen
Die Wohnungsnot in deutschen Metropolen ist eines der großen sozialen Themen unserer Zeit. Kapitalkonzentration und globalisierte Immobilienspekulation forcieren soziale und räumliche Ungleichheiten. Das macht neue politische Antworten in der Boden-, Wohnungs- und Mietenpolitik notwendig. Denn immer höhere Wohnkosten bei unsicheren Arbeitsplätzen, niedrigen Löhnen und Renten – das geht gar nicht! Im Wesentlichen geht es um folgende Probleme:
Fortschreitende sozialräumliche Polarisierung
Wachstumsstarken Großstadtregionen stehen strukturschwache Dörfer, Klein- und Mittelstädte gegenüber. Die einen suchen Antworten auf Bevölkerungszuwachs, steigende Mieten und Wohnungsbedarf. Die anderen kämpfen gegen Leerstand und Verfall, gegen den Verlust von Gewerbe und Handel, Schule und Gesundheitsversorgung. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und des Zugangs zu Infrastruktur ist nicht mehr gegeben.
Die globalen Finanzmärkte als Taktgeber für urbane Immobilienpreise
In den großen Städten haben sich die Grundeigentumsverhältnisse stark verändert. Nach wie vor ist ein Großteil des Grundeigentums in Privathand, wobei Finanzinvestoren und Briefkastenfirmen, Fonds und Aktiengesellschaften in hohem Maße Immobilienpreise und Wohnungsmarktentwicklung bestimmen. Gleichzeitig wird in ländlichen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland viel Spekulation mit Landwirtschaftsflächen betrieben (Landgrabbing).
Die politische Privilegierung des Grundeigentums
Der Staat bevorzugt das private Grundeigentum im Steuerrecht, Mietrecht und Planungsrecht. Auch haben neben EU-Bürgern Investoren aus aller Welt Zugang zu den deutschen Grundstücksmärkten. Der Begünstigung der Grundeigentümer steht zu wenig Mitverantwortung für das Allgemeinwohl gegenüber, obwohl das Grundgesetz dies in Artikel 14 (2) ausdrücklich fordert.
Die Schieflage von Einkommens- und Mietentwicklung
Mit der Fortschreibung der Mietspiegelmieten und 15 bis 20% Mietsteigerung in drei Jahren gewährt der Gesetzgeber den Eigentümern deutlich höhere Mietzuwächse als die allgemeine Entwicklung von Löhnen und Lebenshaltungskosten. Wohnungssuchende werden besonders hohen Mietforderungen ausgesetzt. Im Durchschnitt stieg die Wohnkostenbelastung von 20% in 1990 auf 36% bruttowarm in 2015 (Statistisches Bundesamt). Bedürftige Haushalte geben häufig 40% ihres Nettoeinkommens und mehr für das Wohnen aus.
Falsche Wohnungs- und Liegenschaftspolitik
Die Wohnungsgemeinnützigkeit wurde 1990 abgeschafft. Die Bindungen der Sozialwohnungsbestände sind überwiegend ausgelaufen. Bedeutende öffentliche Wohnungsbestände wurden an Finanzinvestoren verkauft. Viele öffentliche Grundstücke wurden und werden immer noch nach Höchstpreisverfahren privatisiert. Das Recht auf Eigentumsumwandlung forciert die Kapitalverwertung städtischer Immobilien.
Kaum Fortschritte bei Bodenschutz, Umwelt- und Klimaschutz
Die wichtigsten ökologischen Anforderungen an Gebäudebestand, neues Bauen, Städte- und Siedlungsbau wie insbesondere die Senkung des Siedlungsflächenverbrauchs, die Optimierung der Energieeffizienz bei Gebäudebestand und Neubau und der Einsatz von umwelt- und klimaschützenden Baustoffen, Bautechniken und regenerativen Energien treten seit Jahren auf der Stelle.
Der Verlust der kommunalen Steuerungsfähigkeit
Das neoliberale Prinzip des „schlanken Staats“ hat zum Ausverkauf elementarer öffentlicher Gemeingüter geführt und die kommunalen Handlungsspielräume stark eingeschränkt. Investoren verdrängen immer mehr Mieter aus den Innenstädten und nutzen den Boden zur Kapitalverwertung, ohne einen angemessenen Beitrag zu den kommunalen Infrastrukturen, zum Umweltschutz und zum Gemeinwohl zu leisten.
BauenBauenBauen als Lösung?
Die Verbände der Immobilienwirtschaft reduzieren die Wohnungsfrage auf rein quantitativen Neubaubedarf und schieben die Verantwortung einseitig ab auf Staat und Kommunen. Sie rufen nach mehr Baulandausweisung, mehr Bausubventionen und vereinfachte Baurechte. Sicherlich brauchen Städte und Wachstumsregionen den Bau von deutlich mehr bezahlbaren Neubauwohnungen. Dabei sollte nicht nur neuer Wohnraum, sondern lebenswerte, sozial ausgewogene und ökologische Stadtteile entstehen. Die Hauptlast der Wohnversorgung bleibt jedoch immer beim Gebäudebestand. Den 285.000 in 2017 neu gebauten Wohnungen stehen 42 Millionen Bestandwohnungen gegenüber. Verantwortliche Wohnungs- und Bodenpolitik darf darum nicht nur auf neues Bauen setzen, sondern muss ebenso auf ökologische und sozialverträgliche Maßnahmen für den Bestand setzen.
Bündnisgrüne Grundsätze und konkrete Schritte
Es geht darum, staatliche und kommunale Handlungsfähigkeiten zurückzugewinnen und von der Immobilienwirtschaft mehr Gemeinwohlorientierung, Umwelt- und Sozialverantwortung einzufordern. Dazu müssen wir die politische Diskussion um die Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums offensiv führen und teilweise sehr grundlegende Reformen für das Bodenrecht und das Wohnungs- und Mietrecht erarbeiten. Die wichtigsten Handlungsfelder sind:
Bodenpolitik
Grundeigentumsverhältnisse müssen transparent sein. Für die Öffentlichkeit muss nachvollziehbar sein, wer als Eigentümer über eine Immobilie verfügt und nicht nur, wie die für das Grundstück gebildete Gesellschaft firmiert. Steuerhinterziehung und anonymisiertes, in Briefkästen verstecktes Grundeigentum muss unterbunden werden. Die steuerliche Privilegierung des Grundeigentums muss eingeschränkt werden. Über das selbstgenutzte Wohneigentum hinausgehende Veräußerungsgewinne aus privatem Immobilienvermögen sind wie andere Einkommen zu besteuern. Wohnungsunternehmen, die keiner Gemeinwohlverpflichtung unterliegen, dürfen nicht länger von der Gewerbesteuer befreit werden. Die steuerliche Abschreibung von spekulativem Leerstand muss eingeschränkt werden. Die Grundsteuer soll auf dem Bodenwert basieren und darf nicht mehr als Betriebskosten auf die Miete umgelegt werden. Sie wird bereits mit der Miete entgolten. Das Erben und Schenken von Grundeigentum ist angemessen zu besteuern.
Kommunales Planungsrecht
Das kommunale Planungsrecht im Baugesetzbuch muss reformiert werden. Die Kommunen müssen das Recht erhalten, planungsrechtlich geschaffene Bodenwertsteigerungen abzuschöpfen für Investitionen in Infrastruktur, Umweltschutz und soziales Wohnen. Auch muss das kommunale Vorkaufsrecht auf das gesamte Gemeindegebiet erweitert und verbessert werden.
Flächeninanspruchnahme
Der Siedlungsflächenverbrauch muss eingeschränkt werden – sowohl in den Metropolen als auch im ländlichen Raum. Dafür könnte als Ergänzung zum naturschutzrechtlichen Ausgleich die Ausweisung von neuem Bauland auf Agrar- und Naturflächen mit der Verpflichtung zur entsprechenden Entsiegelung und Renaturierung von Boden andernorts verbunden werden, z.B. in strukturschwachen Regionen. So würde der naturschutzrechtliche Ausgleich ergänzt und deutlich ausgeweitet. Gleichzeitig soll die angemessene Innenverdichtung in den besiedelten Bereichen erleichtert werden.
Liegenschaftspolitik
Die Liegenschaftspolitik der öffentlichen Hände und der öffentlichen Unternehmen muss grundlegend geändert werden. Statt Ausverkauf von öffentlichen Grundstücken und Gebäuden ebenso wie von öffentlichen Wohnungsunternehmen geht es um
• den Aufbau von kommunalen, landes- und bundeseigenen Bodenfonds;
• die Vergabe von Bodennutzungsrechten ausschließlich durch Erbbaurechte,
• die Vergabe von Erbbaurechten als Konzeptverfahren nach städtebaulichen,
ökologischen, sozialen und kulturellen Kriterien und dem Ziel der Stärkung
von kleinen und mittleren Unternehmen,
• die Verpflichtung öffentlicher Unternehmen, Grundstücke, für die sie keinen
Bedarf haben, an den Bodenfonds ihres öffentlichen Eigentümers oder den
jeweiligen kommunalen Bodenfonds zum Verkehrswert zu verkaufen.
• Die schnellstmögliche Vergabe kommunaler Grundstücke an gemeinwohlorientierte
Gesellschaften und Genossenschaften zum Bau von sozial gebundenen Wohnungen.
Wohnungs- und Mietenpolitik
Wohnungsmärkte müssen so gestaltet werden, dass sich Mieten und Immobilienpreise im Rahmen der allgemeinen Einkommens- und Inflationsentwicklung bewegen. Bei einem Mieteranteil von 60% in der BRD ist dazu ein starkes Mietrecht gefordert. Das Mietrecht und das Recht auf Eigentumsumwandlung sollten so reformiert werden, dass Mieterhöhungen und Mietspiegelerhebung, Modernisierungsumlagen und Neuvertragsmieten nicht als Immobilienpreistreiber wirken.
• Auch kleine und mittlere Unternehmen und soziokulturelle Projekte brauchen
Mieterschutz. Dafür sollten – zumindest für größere Städte - Gewerbemietspiegel
analog zum Wohnungsmietrecht eingeführt werden. Alternativ ist auch das
französische Gewerbemietrecht denkbar, das Gewerbemietern besseren Schutz vor
Mieterhöhungen und Kündigungen bietet.
• Die Förderung des langfristig und dauerhaft sozial gebundenen Wohnungsbaus ist als Daueraufgabe für alle wachstumsstarken Städte und Kommunen unabdingbar ebenso wie die Förderung von energetischer Modernisierung und Barrierefreiheit. Dies muss mit klaren Sozialbindungen verknüpft werden.
• Die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit ist von großer Bedeutung. Sie
hat die Einschränkung der derzeitigen Steuervorteile für gewerbliche Wohnungsunternehmen zur Voraussetzung.
• Die Rechtsgrundlagen zur Sicherung von bezahlbaren Wohnungsbeständen sind zu
vereinfachen, auszuweiten und zu stärken. Dies gilt insbesondere für eine wirksame
Mietpreisbremse, für den Milieuschutz, für das Verbot der Zweckentfremdung und für
die Einschränkung der Umwandlung von bestehenden Mietwohnhäusern in
Eigentumswohnungen.
• Die Kosten der Unterkunft im Rahmen der Förderung von sozialer Grundsicherung und
das Wohngeld sind regelmäßig der Mieten- und Wohnkostenentwicklung entsprechend
anzupassen. Die wachsende Zahl der Obdachlosen braucht auch endlich
menschenwürdige Unterkünfte.
• Um die energetische Gebäudemodernisierung voranzutreiben, müssen hier endlich
verbindliche Ziel-vorgaben zur CO2-Neutralität bis spätestens 2050 vorgegeben
werden. 30 Jahre sind ein angemessener Erneuerungszyklus für Bauinvestitionen,
auch für den Gebäudebestand. Aber bei längerem Zuwarten läuft uns die Zeit davon!
• Die Bauordnungen müssen verbindliche Vorgaben für klimaschützende und
umweltverträgliche Baumaßnahmen machen.
• Für eine nachhaltige Stadtentwicklung gilt: Es sollte nicht schematisch auf
Privatinvestoren versus kommunale Wohnungswirtschaft gesetzt werden, sondern auch
auf kleinteilige Eigentümervielfalt, auf Vielfalt der Wohn- und Lebensformen,
soziale Mischung, Nutzungsmischung. Notwendig sind auch transparente
Planungsverfahren und überzeugende Bürger- und Nachbarschaftsbeteiligung. Dies
alles zusammen mit guter Infrastruktur, nachhaltiger Mobilität, Stadtnatur, Spiel,
Sport, Kultur und Erholung macht urbanes Leben aus.
Unsere Vision
Lasst uns einen Blick in die Zukunft von Stadt und Land werfen: wir beginnen mittendrin, im Zentrum der Stadt: Der öffentliche Raum dort wird mehr sein als der Ort, an dem konsumiert wird. Er wird unser öffentliches Wohnzimmer in unserem Quartier und quirliger Ort vielschichtigen Stadtlebens sein. Menschen verschiedenster Provenienz und Prägung treffen dort aufeinander, anstatt in Blasen übereinander zu reden. Beim Umhergehen wird uns auffallen, dass die Städte stark verdichtet und intensiv begrünt sind. Der Verkehr ist bunter geworden, ordnet sich Anwohnern und Besuchern aber unter. Die wesentlichen Ziele unseres Alltages wie Bildungsstätte, Einkaufsmöglichkeit, Verwaltung, medizinische Grundversorgung, für die meisten auch der Arbeitsplatz, finden wir innerhalb eines 30-Minuten-Umfelds unserer Wohnung. Das gelingt nicht nur durch die Stärkung der Subzentren unserer Metropolen, der Klein- und Mittelstädte, sondern auch durch die Weiterentwicklung unserer Mobilität und der ländlichen Räume. Emmissionsfrei fährt nicht nur der schienengebundene Personen- und Güterverkehr, sondern es gleiten selbstfahrende Kleinbusse und Ruftaxis neben Fahr- und Lastenrädern. Nur noch wenige benötigen private Autos für ihren Alltag und wir freuen uns über den neu gewonnenen Stadtraum nach dem Verschwinden vieler Parkplätze und Straßen. Unsere Versorgung ist durch das Internet in Umbruch geraten und hat sich neu formiert. Waren die omnipräsenten Labelshops in den Zentren und der Discounter am Ortsrand bisher stadtbildprägend, finden sich nun Kitas, Wohnungen und Arbeitsplätze neben Showrooms des Internethandels und der Verkaufsstelle der regionalen Erzeugergemeinschaft. Diese urbanen Quartiere zwischen grünen Verweilflächen bieten ebenso Raum für Co-Working-Spaces, Kleingewerbe, Mehrgenerationenhäuser und Gastronomie. Grünflächen zwischen verdichteten Wohnhäusern und die Hinterhöfe der erhaltenen Stadt des 19. Jahrhunderts sind zu Mietergärten mit urban gardening oder Spielflächen geworden. Die Freiräume haben hohe Gestaltqualität, grüne Ruheorte wechseln sich ab mit Orten vielschichtiger Begegnungen.
Baubestände sind Last, Zierde und Verpflichtung zum Erhalt eines kulturellen Erbes zugleich. Vielleicht begegnet uns eine Gründerzeitvilla, die durch effiziente Haustechnik, selbst erzeugte Energie und verträgliche Wärmedämmung, quasi emissionsfrei wurde. Nebenan zeigt uns ein großes Mehrfamilienhaus in Holzrahmenbauweise, wie der ehemalige Garten der Villa zum Heim für viele Menschen werden konnte, dessen grüne Fassade noch Platz für Vögel und Schmetterlinge bietet und nebenbei noch Energie für unsere Mobilität erzeugt. Wohnen nahm immer mehr Platz in Anspruch, zuletzt betrug der Pro-Kopf-Bedarf fast 50 qm pro Person. Kleinere Wohnungen erlauben uns nun geringere Mieten, bringen mehr Menschen auf derselben Fläche unter. Das gelingt, indem Wohnungen hochwertiger und damit attraktiver werden und die Freiräume um sie herum lebenswerter. Wir finden nun für jeden Menschen und jedes Projekt eine gebaute Umwelt, die kulturell das friedliche, konstruktive und visionsgeleitete Miteinander fördert, die durch den Einsatz nachwachsender Materialien und Energieformen, welche die Biosphäre nicht beeinträchtigen und das zu Kosten, die bezahlbar sind und trotzdem den Wohnungsbaugesellschaften, den Privateigentümern und den Genossenschaften eine angemessene und sozialverträgliche Wertsteigerung bescheren, unter der Prämisse unseres Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet“. Die Kommunen wurden in die Lage versetzt, Boden zu erwerben, ihn gemeinwohlorientiert zu widmen und ihn durch Vergabe in Erbpacht dauerhaft der Spekulation zu entziehen.
Der Klima- und Umweltschutz kann in jedem Planungs- und Bauprozess vollständig auf aktuellem Stand der Technik gesichert, das historische und baukulturelle Erbe identitätsstiftend berücksichtigt werden und trotz der unterschiedlichen Lebensentwürfe und Einkommensverhältnisse einer pluralen Gesellschaft in ihrer unmittelbaren Umgebung soziale Sicherheit gewährleisten.
Die hohen Standards der Wohnungen hinsichtlich Ausstattung und Energierückführung sind ein positiver Effekt der generellen CO2-Besteuerung. Die Ökobilanz unserer Zukunftsstädte profitiert zusätzlich durch die Nachverdichtung und den verringerter Pro-Kopf-Flächenbedarf: Der Flächenfraß konnte zugunsten einer Qualitätsoffensive beendet werden. Die Zentren der Vororte werden aufgewertet und individualisiert. Nichtstörendes Gewerbe und Produktion findet wieder seinen Platz mitten unter uns und bestehende Gewerbegebiete werden nach und nach mehrgeschossig genutzt.
Verlassen wir die Kleinstädte, Städte und ihre Subzentren und fahren über Land. Nachhaltige Landwirtschaft und Naherholung prägt die Landnutzung. Landleben ist längst nicht mehr wirklichkeitsentrückte Traumwelt romantischer Städter oder abgehängtes Opfer des Strukturwandels des vergangenen Jahrhunderts. Die wachsenden Möglichkeiten der Digitalisierung und die hohe Dichte des automatisierten Nahverkehrs ermöglichen besonders im Innenbereich aus ehemals schrumpfenden Gemeinden im ländlichen Raum lebendige Orte mit guter sozialer Durchmischung zu gestalten. So leben hier neben den Alteingesessenen auch lärm- und stressanfällige Personen, genauso wie Menschen mit Lebenskonzepten, die einen erhöhten Bedarf an Wohnfläche mit sich bringen, und an Land- und Gartenbau Interessierte. Und wider allen Prophezeiungen ist der ländliche Raum auch wieder ein wesentlicher Lieferant für gesunde und frische regionale Produkte und nicht zuletzt dadurch identitätsstiftender Raum für Bewohner wie Besucher. Land und Stadt gehören zusammen und bilden einen regionalen Heimatraum für alle, die darin aufwachsen, dort arbeiten oder lernen, oder das Älterwerden genießen.
An diesem Antrag haben mitgewirkt:
Franziska Eichstädt-Bohlig u.a.
Rainer Danielzyk
Caro Meder
Gerhard Zickenheiner
Andreas Rieger
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